Wendepunkte - in Krisen aus Krisen lernen
Traunstein [ENA] Krisen können uns unvorbereitet treffen. Eine Frau berichtet nach dem Erhalt der Diagnose Krebs… „Verzweiflung kroch wie klebriger Sumpf in mir hoch, dröhnte in den Ohren, verstopfte die Sinne“. Unter einer Krise wird der Verlust des seelischen Gleichgewichts verstanden. Der Mensch wird mit Umständen konfrontiert, die er im Augenblick nicht bewältigen kann. Psychologisch gesehen setzen uns Krisen akut unter Stress.
Körperliche Symptome, u.a. in Form von Herzrasen, Zittern, Schlaflosigkeit, Abgeschlagenheit, Magen-Darm-Beschwerden, Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, können aufgrund der psychischen Belastungssituation auftreten. Krisen sind vielschichtig und werden durch individuelle Geschehnisse im Leben sowie kollektive Ereignisse ausgelöst. Am Anfang der Krise macht sich bisweilen inneres Chaos breit und die Betroffenen erleben einen Schockzustand. Mit den darauffolgenden Auseinandersetzungs- und Verarbeitungsprozessen beschäftigen sich verschiedene psychologische Theorien.
Bei dem dynamischen Modell von Erika Schuchardt handelt es sich bildlich um ein spiralförmiges Phasenmodell innerhalb einer Pyramide. Am Anfang der Krise, die ein nach Normen geführtes Leben nicht mehr ermöglicht, sind die Betroffenen mit einer Ungewissheit verbunden mit Unsicherheit, Ängsten, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Bedrohung konfrontiert. Der Krisenauslöser in Form einer Diagnose, einer Nachricht oder einem Ereignis scheint wie ein Blitz einzuschlagen.
Dies führt zu einer Überforderung sowie einer erhöhten Sensibilität der Betroffenen. Sie stellen Fragen, ziehen Vergleiche, suchen nach Erklärungsmuster, möchten Tatbestände leugnen, durchleben ein „Nicht-Wahrhaben-Wollen“, bzw. „Nicht-Wahrhaben-Können“, begeben sich in eine Verteidigungshaltung „Warum gerade ich?“, „Das muss doch ein Irrtum sein?“, „Ja, es ist so, aber…?“. Die darauf beginnende Ambivalenz zwischen dem verstandesmäßigen Erfassen und dem ablehnenden emotionalen Empfinden schafft für den Betroffenen einen zeitlichen Spielraum, um den Weg der Krisenverarbeitung weiter fortsetzen zu können.
Am Ende des Versuchs, der Wahrheit zu entkommen, entsteht das immer größer werdende Bedürfnis nach einer Auflösung der inneren Spannung. Die Kopferkenntnis wird zu einer Erfahrung des Herzens. Mit dem vollständigen Erfassen der Gewissheit folgen Phasen der Aggression, der Verhandlung, der Depression, der Annahme, der Aktivität und der Solidarität. Die emotional bewegenden Phasen können sich abwechseln und bestimmen den Ablauf der Krisenverarbeitung. Die Betroffenen glauben, immer wieder an der Qual ihrer Gefühle zu ersticken, suchen unbewusst nach Ventilen, um den Überdruck ihrer Gefühle abzulassen.
Vulkanartige Aggressionen richten sich ungesteuert gegen die soziale Umwelt, da der eigentliche Krisenauslöser nicht fassbar ist. Die durch die Aggressionen freigesetzten Kräfte machen die Betroffenen wieder handlungsfähiger und drängen zur Tat. Die Betroffenen versuchen, aus ihrer Ohnmacht herauszukommen. Alle erdenklichen Maßnahmen werden angesichts der ausweglos erscheinenden Situation in die Wege geleitet. Zum Beispiel werden verschiedene Ärzte, mitunter auch Wunderheiler, aufgesucht. Sind diese Wege gescheitert, kann eine Resignation in Form einer Depression entstehen „Wozu?… Alles ist sinnlos?“.
Bereits am Anfang der Krise sind soziale Interaktionen mit Personen von Bedeutung, die Wissen zur Bewältigung der Krise adäquat vermitteln, eine angemessene psychische Unterstützung anbieten und persönliche Angriffe aus der inneren Not der Betroffenen heraus nicht persönlich nehmen. Ein einfühlsames soziales Umfeld, enge Freundschaften und bei Bedarf eine professionelle Krisenbegleitung sind bereits in der Anfangs- sowie in den Erkennungsphasen prägend für den weiteren Prozessverlauf.
Menschen, die alle Phasen der Krisenverarbeitung durchlaufen, gehen mit neuen Erkenntniswerten gestärkt aus einer Krise hervor. Die Betroffenen erfahren eine Erweiterung ihrer Denk-, Entscheidungs- sowie Handlungskompetenzen. Sie orientieren sich neu und blicken mit Zuversicht in die Zukunft. Eine Krise ist eine Gefahr und zugleich eine Chance. Sie ist ein integraler Bestandteil der persönlichen Weiterentwicklung.