Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte - Buchbesprechung
Frankfurt am Main [ENA] Das Buch „Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte: Postkolonialer Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte“ von Bernd Heyl führt uns auf eine Reise durch die Geschichte von Namibia von der vorkolonialen Zeit bis ins Jahr 2021, dem Erscheinungsjahr des Buches.
Anhand der Gedenk- und Erinnerungsorte, die in dem Kampf um die Befreiung von der kolonialen Herrschaft der Deutschen eine zentrale Rolle spielten, und ergänzt um ein Einführungskapitel zum Thema, werden die geschichtlichen Hintergrundinformationen zur deutschen Kolonialgeschichte in Namibia gegeben. Namibia wurde deutsche Kolonie im Jahr 1884. Die deutsche Kolonialgesellschaft Südwestafrika (DKGSWA), gegründet im Jahr 1885, witterte Vermögenszuwächse durch Ausbeutung der Ressourcen in Namibia. Riesige Landflächen in der Größenordnung von 10.000 Hektar sollten in die Hände der deutschen Übersiedler für Viehzucht gegeben werden. Die fruchtbaren und wasserreichen Gebiete im Norden wurden bevorzugt.
Namibia war vor der Kolonialzeit das Land der San, Damara, Nama, Ovaherero, Ovambo u.a. Wenn wir von ethnischen Gruppen zur Differenzierung sprechen wollen, so sind es die Ovaherero und Nama, die wir heute als die zwei bedeutenden ethnischen Gruppen unterscheiden. Der Aufstand gegen die Besatzer begann am 12.1.1904. Unter Führung von Samuel Maharero, griffen die Ovaherero die deutschen Siedler und deutschen Soldaten an. Kinder, Frauen und Missionare wurden verschont. Im Oktober 1904 schlossen sich die Nama den Aufständischen an. Die deutschen Schutztruppen gingen unter Befehl von Lothar von Trotha gegen alle Afrikaner*innen, Ovaherero und Nama vor. Der Befehl:
„Es wird gefochten, solange es geht. … Es wird alles totgeschossen! – Basta.“ (Seite 10 in Häussler, Eckl: Lothar von Trotha in Deutsch-Südwestafrika, 1904-1905, Bd1: das Tagebuch.) bedeutete den Beginn des Völkermordes. Um den deutschen Soldaten zu entkommen, flohen die Menschen in den Norden. Kinder, Frauen und Männer verdursteten in dem wüstenähnlichen Gebiet von Omaheke im Oktober 1904. Nach Protesten in Deutschland, beispielsweise durch August Bebel, hob Kaiser Wilhelm II. am 8.12.1904 den Vernichtungskrieg auf. Der Krieg ging aber bis 1908 weiter. Konzentrationslager und Zwangsarbeit wurden eingeführt. Im Buch ist dazu ein Bild mit dem Untertitel „In Ketten gelegte Ovahereros, 1904."
Am 9.6.1915 ergaben sich die deutschen Schutztruppen der südafrikanischen Armee, die im 1. Weltkrieg gegen Deutschland kämpfte. Von 80.000 Hereros lebten im Jahre 1911 noch 15.000, von 20.000 Namas noch ca. 9.800. Im Buch sind die bedeutenden Orte des historischen Geschehens als auch die heutige Präsentation in Form von Gedenktafeln oder Denkmäler aufgenommen. Man kann sich dem Eindruck nicht erwehren, dass die Schuldanerkennung und die Abkehr von dem kolonialen Denken und Handeln in Form von Sklavenarbeit und Willkürherrschaft gegenüber den Einheimischen noch nicht durchgängig aufgezeigt wird und eine Geschichtsklitterung vorgenommen wird.
Zwei Beispiele dafür sind: das Marinedenkmal, das am 1.8.1908 in Swakopmunde eingeweiht wurde. Der Einsatz der deutschen Soldaten wird hier verherrlicht und das Deutsche Kriegsdenkmal im Zoo Park in Windhoek, das die Soldaten als Helden bezeichnet. Eine der geschichtlichen Ereignisse angemessene Darstellung zeigt das „Nama & Ovaherero Genocide Monument“ in Swakopmund. Der Angriff auf das Fort Namutoni am 28.1.1904 wird einerseits mit einer Gedenktafel den deutschen Soldaten für ihre Tapferkeit gedacht (es gab auf Seiten der deutschen Soldaten keine Verluste). Andererseits gibt es einen neuen Gedenkstein, der an die Ovomba-Krieger erinnert, die bei dem Aufstand ihr Leben verloren.
Das Denkmal wurde am 28.1.1996 von dem Präsidenten von Namibia, Dr. Sam Nujoma, eingeweiht. Die Rolle der Missionsstationen in der kolonialen Geschichte Namibias ist hervorzuheben. Die Missionsarbeit bestand in der Taufe zum Christen und in der Bildung der Kinder in den deutschen Missionsschulen. Im Jahre 1904 waren ca. 20% der Namas und 8% der Hereros getauft. Die deutsche Mission kann als Vorreiter des deutschen Kolonialismus gesehen werden. Sie warben für die Besiedlung der Deutschen und später baten sie den Kaiser um Schutz für die Siedler.
Friedrich Fabri, Leiter der Rheinischen Mission, schrieb 1879 eine Propagandaschrift „Bedarf Deutschland der Kolonien?“, die sich in Deutschland zusammen mit der rassistischen Grundeinstellung gegenüber den Afrikaner*innen rasch verbreitete. „Es fehlt den Eingeborenen die Gewöhnung zur Arbeit und damit die Grundlage nationalen Wohlstandes. Nur für die nächsten Lebensbedürfnisse sorgend, die der üppige Boden überdies bei sehr geringer Tätigkeit freigiebig bietet, muss der Eingeborene zu geregelter Arbeit, die nicht nur seine steigenden Bedürfnisse deckt, sondern auch Überschuss bietet und damit eine Grundlage zu kulturellem Fortschritt legt, erst erzogen werden.
Ein wohlgeordnetes, unter europäischer Aufsicht stehendes Kultur-System, das dem tropischen Boden vielartige und wertvolle Export-Artikel entlockt, ist hier auf längere Zeiten der einzige Weg, um neben schwachen direkten Abgaben die Kosten der kolonialen Verwaltung zu decken.“ (Fabri, Friedrich: „Bedarf Deutschland der Kolonien?“ herausgegeben im Jahr 1879, Seite 74) Die Deutschen schickten ihre Kinder auf staatliche Schulen, die afrikanischen Kinder besuchten die Missionsschulen. In den Kriegsjahren wollten die Vertreter der Rheinischen Mission weniger Grausamkeiten gegen die afrikanische Bevölkerung und lehnten den Vernichtungskrieg bzw. Völkermord ab.
Sie wurden von dem rassistisch denkenden und handelnden Kommandeur der Schutztruppe Lothar von Trotta ignoriert. Im Jahre 1893 (Gefecht und Massaker von Hornkranz) töteten die deutschen Soldaten der Schutztruppe achtzig Namas, da Hendrik Witbooi sich der Unterzeichnung der Schutzverträge widersetzte. Witbooi war seit 1888 Kaptein des mit den Nama verwandten Volks der Orlam. In dem Buch finden sich die Erinnerungsorte solcher historischen Ereignisse. Deutsches Kriegsdenkmal im Zoo Park in Windhoek mit Aufschrift: „Dem Andenken der im Kriege gegen den Stamm der Witbooi's in den Jahren 1893 und 94 gefallenen Helden“. Im Buch wird ein Bild dazu gezeigt: „Das brennende Hornkranz“.
Die Reederei Woermann-Linie (von Adolph Woermann) sei noch erwähnt. Ein Bild zeigt einen Auszug aus einem Plakat der Reederei aus dem Jahr 1912. Die „Kru Boys“ mussten die Ozeanriesen mit kleinen Ruderbooten entladen (Mensch und Material), da die großen Schiffe in der Walvis Bay nicht anlegen konnten. Nach dem Deutsch-Namibischen Krieg (1904-1908) wurde die Zwangsarbeit für Frauen, Männer und Kinder ab 10 Jahre eingeführt. Bei einem Arbeitseinsatz mussten 50 Pfennig pro Tag als Leihgebühr an die Verwaltung gezahlt werden. Die Menschen wurden in Konzentrationslager eingesperrt. Die Prügelstrafe wurde per Gesetz erlaubt und angewendet. Der tiefe Rassismus, den die Menschen erfahren mussten, zeigt sich in einem Bild aus dem Zollschuppen.
Zu sehen sind Schädel, die in das Pathologische Institut nach Berlin geschickt werden. Zuvor wurden die Schädel von den gefangenen Ovaherero-Frauen mithilfe von Glasscherben gesäubert. Die Fotographien im Buch sind teils private Aufnahmen, teils Archivbilder. Alle Bilder sind von sehr guter Qualität und hochauflösend. Die Bilder zusammen mit den Untertiteln selbst sind schon sehr erhellend und vermitteln einen Streifzug durch die Geschichte der Kolonialisierung und dem heutigen Umgang damit.
Das Buch ist eine sehr gute Begleitung für Reisende nach Namibia, die sich für die Geschichte des Landes interessieren, die Gedenkstätten aufsuchen und eine kritischere Perspektive einnehmen möchten. Das Buch ist lesenswert für alle, die sich mit der deutschen Geschichte kritisch auseinandersetzen wollen und aus der Vergangenheit lernen möchten. Zitate mit Quellenangaben sind als Ergänzung vom Autor dieses Artikels hinzugefügt.